Verpflichtende Regeln sind dringend notwendig

In Ber­lin soll noch in die­ser Le­gis­la­tur­pe­ri­ode ein ver­pflich­ten­des Al­ten­hil­fe­st­ruk­tur­ge­setz ver­ab­schie­det wer­den. Jens Uwe Meiß­ner, Vor­stands­mit­glied des So­zi­al­wer­kes Ber­lin und Stell­ver­tre­ter im Lan­des­se­nio­ren­bei­rat (LSBB), in­for­miert über den ak­tu­el­len Stand der Ar­beit am Gesetz. 

von Eve­line Har­der, eh­ren­amt­li­che Re­dak­teu­rin des Lan­des­netz­werks Bür­ger­en­ga­ge­ment Ber­lin e.V.

Übereinanderliegende Hände einer älteren Frau die ihren Gehstock festhält.

Foto: Pixabay | Mir­cea Iancu

2017 nahm der Lan­des­se­nio­ren­bei­rat (LSBB) Kon­takt zu Jens Uwe Meiß­ner als da­ma­li­gen So­zi­al­amts­lei­ter des Be­zirks Trep­tow-Kö­pe­nick auf, um Pro­jekte im Rah­men der Al­ten­hilfe nach § 71 SGB XII ab­zu­lei­ten. Das Pro­blem ist, dass die „Al­ten­hilfe“ (Bun­des­ge­setz) – im Ge­gen­satz zur Kin­der- und Ju­gend­hilfe – le­dig­lich als Soll­vor­schrift im § 71 SGB XII ge­re­gelt ist. Dort heißt es: „Die Al­ten­hilfe soll dazu bei­tra­gen, Schwie­rig­kei­ten, die durch das Al­ter ent­ste­hen, zu ver­hü­ten, zu über­win­den oder zu mil­dern und al­ten Men­schen die Mög­lich­keit zu er­hal­ten, selbst­be­stimmt am Le­ben in der Ge­mein­schaft teil­zu­neh­men und ihre Fä­hig­keit zur Selbst­hilfe zu stärken.“

Die Notwendigkeit eines verpflichtenden Altenhilfestrukturgesetzes

In Ber­lin wird die Soll­vor­schrift im Zuge von Spar­maß­nah­men im­mer als frei­wil­lige Leis­tung aus­ge­legt. So wur­den in den ver­gan­ge­nen Jah­ren in den So­zi­al­äm­tern der Be­zirke die Fi­nan­zen für Se­nio­ren­frei­zeit­stät­ten, für das eh­ren­amt­li­che En­ga­ge­ment von So­zi­al­kom­mis­sio­nen und Zu­wen­dun­gen für Se­nio­ren­or­ga­ni­sa­tio­nen dras­tisch ge­kürzt, trotz ei­ner stei­gen­den Zahl von äl­te­ren Men­schen 60 plus.

Jens Uwe Meiß­ner hat des­halb dem Lan­des­se­nio­ren­bei­rat Ber­lin emp­foh­len, sich da­für ein­zu­set­zen, dass das Land Ber­lin ein ver­pflich­ten­des Al­ten­hil­fe­st­ruk­tur­ge­setz auf der Grund­lage des § 71 SGB XII ver­ab­schie­det. Er­freu­li­cher­weise ha­ben so­wohl der LSBB als auch die der­zei­tige Ko­ali­tion be­schlos­sen, ein sol­ches Ge­setz noch in die­ser Le­gis­la­tur­pe­ri­ode zu schaffen.

Der Weg zum Gesetz „Gutes Leben im Alter“

Ge­rade durch die Be­ra­tungs­an­ge­bote, aber auch die Ver­ant­wor­tung der Al­ten­hilfe, in Not­la­gen Hilfe zu leis­ten, soll ein Bei­trag zur Ge­wäh­rung von Men­schen­rech­ten und zur Ver­mei­dung von De­mü­ti­gung äl­te­rer Men­schen durch un­wür­dige Le­bens­be­din­gun­gen ge­leis­tet wer­den. Das Ge­setz „Gu­tes Le­ben im Al­ter“ soll auf be­zirk­li­cher Ebene ver­läss­li­che Struk­tu­ren in al­len So­zi­al­räu­men ab­si­chern bzw. auf­bauen hel­fen, die wohl­fahrts­plu­ra­lis­tisch aus­ge­rich­tet sind, d.h., im Zu­sam­men­wir­ken der Zi­vil­ge­sell­schaft, der Selbst­hilfe, der Wohl­fahrts- und So­zi­al­ver­bände so­wie der Pro­fes­sio­nel­len ge­stal­tet werden.

Der LSBB hat die Idee auf­ge­grif­fen und eine Ex­per­ten-Runde ge­schaf­fen und im April 2023 ei­nen Ent­wurf vor­ge­legt, wie ein Al­ten­hil­fe­st­ruk­tur­ge­setz aus­se­hen könnte. Der über zwei Jahre statt­ge­fun­dene Dis­kus­si­ons- und Er­ar­bei­tungs­pro­zess wurde von Pro­fes­sor Dr. Tho­mas Klie ge­lei­tet, der den Ge­setz­ent­wurf dem LSBB, dem Ab­ge­ord­ne­ten­haus und der Se­nats­ver­wal­tung über­reichte. Pro­fes­sor Klie ist bun­des­weit hoch an­er­kannt. Er hat an ei­nem En­ga­ge­ment­be­richt der Bun­des­re­gie­rung lei­tend mitgearbeitet.

Herausforderungen und Lösungsansätze

Da wie­der Spar­maß­nah­men im Land Ber­lin im Dop­pel­haus­halt 2026/27 an­ste­hen, ist es aus der Sicht des LSBB wich­tig, dass das Ge­setz schon mög­lichst 2025 ver­ab­schie­det wird und die ent­spre­chen­den Mehr­aus­ga­ben für die So­zi­al­äm­ter im Haus­halt 2026/27 ver­an­schlagt wer­den. Auf­grund des de­mo­gra­fi­schen Wan­dels ist die Zahl der Men­schen über 60 Jah­ren in Ber­lin von jetzt 960.000 dann auf über eine Mil­lion ge­stie­gen, so­dass An­pas­sun­gen in die­sem Be­reich drin­gend not­wen­dig sind. Der Deut­sche Ver­ein für öf­fent­li­che und pri­vate Für­sorge in Düs­sel­dorf und die Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft der Se­nio­ren­or­ga­ni­sa­tio­nen in Bonn un­ter­stüt­zen die­ses Vorhaben.

In den Ber­li­ner So­zi­al­äm­tern und in den Be­zir­ken sind die Aus­ga­ben für die Al­ten­hilfe sehr un­ter­schied­lich. Und es er­scheint sinn­voll, die Aus­ga­ben auf­grund ei­nes ver­pflich­ten­den Al­ten­hil­fe­st­ruk­tur­ge­set­zes im Rah­men ei­ner Ver­wal­tungs­vor­schrift mit fest­ge­leg­ten Stan­dards für Se­nio­ren­frei­zeit­stät­ten, der So­zi­al­äm­ter etc. zu re­geln. Grund­lage sollte je­weils der An­teil der Men­schen 60 plus in ei­nem Stadtteil/Sozialraum sein.

Die Se­nats­ver­wal­tung für Wis­sen­schaft, Ge­sund­heit und Pflege hat für die­ses Jahr Ge­sprächs­run­den mit den Se­nio­ren-Or­ga­ni­sa­tio­nen ge­plant. Da sie meh­rere Fach­gut­ach­ten in Auf­trag ge­ge­ben hat, will sie noch 2024 ei­nen ers­ten Ge­setz­ent­wurf vor­le­gen. In März hat die Se­nats­ver­wal­tung Ex­per­ten­run­den ein­be­ru­fen, die den Ideen­pro­zess be­glei­ten sol­len, der als Grund­lage die­nen soll für den von Pro­fes­sor Klie vor­ge­leg­ten Gesetzentwurf.

Der LSBB bit­tet an­dere Or­ga­ni­sa­tio­nen um Un­ter­stüt­zung zur Ent­wick­lung des Ge­set­zes und um ent­spre­chende Ver­an­stal­tungs­an­ge­bote. Zum Thema Ein­zel­ge­sprä­che fin­det im So­zi­al­werk Ber­lin e.V., Hum­boldt­straße 12, 14193 Ber­lin, am 23. Mai 2024 eine Ver­an­stal­tung statt.

Die Ber­li­ner So­zi­al­äm­ter wol­len keine Ein­zel­an­sprü­che ak­zep­tie­ren. Pro­fes­sor Klie setzt sich am Bei­spiel Ham­burg da­für ein, dass in ei­nem Al­ten­hil­fe­st­ruk­tur­ge­setz auch der Rechts­an­spruch auf Ein­zel­fall­leis­tun­gen bei be­son­de­ren Not­la­gen fest­ge­legt wer­den. Die Ber­li­ner So­zi­al­äm­ter ha­ben in den ver­gan­ge­nen Jah­ren so gut wie keine Ein­zel­leis­tun­gen auf der Grund­lage des § 71 SGB XII gewährt.

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