Nachgefragt: Was haben Proteste mit Engagement zu tun?

Seit Pe­gida und den Fri­days for Fu­ture ha­ben Pro­teste an Be­deu­tung ge­won­nen. Manch­mal, wie bei der Letz­ten Ge­nera­tion, wer­den sie auch als un­ver­schämt oder so­gar kri­mi­nell wahr­ge­nom­men. Doch was ist das Be­son­dere an Pro­tes­ten? Warum sind sie wich­tig? Und wie hän­gen sie mit bür­ger­schaft­li­chem En­ga­ge­ment zusammen?

von Marc Da­vid Lud­wig, eh­ren­amt­li­cher Re­dak­teur des Lan­des­netz­werks Bür­ger­en­ga­ge­ment Ber­lin e.V.

Foto: Pixabay | Ke­vin Snyman

Co­ro­n­a­pro­teste, Kli­ma­pro­teste, Bau­ern­pro­teste – ge­fühlt wird so viel pro­tes­tiert wie noch nie zu­vor. Aber warum ist das so? Was sagt die Pro­test­for­schung dazu? Und wo sieht sie Über­schnei­dun­gen mit der Zivilgesellschaft?

Im In­sti­tut für Pro­test- und Be­we­gungs­for­schung (ipb) be­schäf­ti­gen sich über 200 For­schende mit die­sen Ent­wick­lun­gen. Ge­tra­gen wird das In­sti­tut von ei­nem Ver­ein, der 2012 ge­grün­det wurde und die Ar­beit in Ar­beits­krei­sen, Ta­gun­gen und Pro­jek­ten or­ga­ni­siert. In In­ter­views und Auf­trit­ten in der Me­di­en­be­richt­erstat­tung ver­brei­ten die Mit­glie­der ihr Wis­sen zu Pro­test und sei­nen Dynamiken.

Bisher wenig Forschung zu Protest und Engagement

Hierzu Dr. Si­mon Te­une (Grün­dungs­mit­glied des ipb): „Pro­test hebt sich von an­de­ren For­men des En­ga­ge­ments ab, weil es darum geht, die po­li­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen von so­zia­len Miss­stän­den an­zu­ge­hen und da­bei die Ver­ant­wort­li­chen zu kon­fron­tie­ren. Pro­teste sind En­ga­ge­ment­for­men, die Kon­flikte sicht­bar ma­chen und forcieren.“

Da die Grund­lo­gi­ken von En­ga­ge­ment und Pro­test so­wie die Selbst­ver­ständ­nisse ver­schie­den sind, gibt es bis­her we­nig in­te­grierte For­schung zu Pro­test und En­ga­ge­ment. „Es wäre span­nend, sich das Ver­bin­dende an­zu­schauen. Was sind ge­mein­same Her­aus­for­de­run­gen, z.B. in den Rah­men­be­din­gun­gen oder in der nach­las­sen­den Be­reit­schaft, sich län­ger­fris­tig an eine Or­ga­ni­sa­tion zu bin­den? Oder auch: Wie er­gän­zen sich po­li­ti­sches und so­zia­les En­ga­ge­ment in ein­zel­nen Fel­dern? Wo ge­ra­ten sie in Kon­flikt?“, sagt Dr. Si­mon Teune.

De­mons­tra­tion für mehr Kli­ma­schutz, Foto: Pixabay | cubicroot

Bis­lang gibt es erst we­nige Be­fra­gun­gen zi­vil­ge­sell­schaft­li­cher Or­ga­ni­sa­tio­nen, in de­nen Pro­test als Thema vor­kommt. Das ipb hat 2021 eine Stu­die durch­ge­führt, in der er­fragt wurde, wie es Or­ga­ni­sa­tio­nen nach Co­rona geht. Es wer­den Working Pa­per ver­öf­fent­licht und in ei­ner jähr­li­chen Ta­gung kom­men Wissenschaftler:innen zu­sam­men und tau­schen sich aus.

Proteste entwicklen sich wellenförmig

Das Be­son­dere an Pro­tes­ten: Sie ent­wi­ckeln sich wel­len­för­mig. Das spie­gelt sich in der For­schung wi­der. Es gibt den Wunsch, im­mer zu den ak­tu­el­len Pro­tes­ten zu for­schen. Da­bei zeigt sich, dass Pro­teste sehr un­ter­schied­lich wahr­ge­nom­men werden.

Pro­teste der Kli­ma­be­we­gung – ins­be­son­dere der zi­vile Un­ge­hor­sam vom Schul­streik der Fri­days for Fu­ture bis zu den Stra­ßen­blo­cka­den der Letz­ten Ge­nera­tion – wur­den von Tei­len der Po­li­tik und in den Me­dien ver­ur­teilt, als un­ver­schämt und kri­mi­nell ein­ge­schätzt. Gleich­zei­tig gab es von den glei­chen Ak­teu­ren gro­ßes Wohl­wol­len für die Blo­cka­den der Bau­ern und Ih­nen wurde ein be­rech­tig­tes In­ter­esse zugestanden.

Pro­teste von Bau­ern im Früh­jahr 2023, Foto: Pixabay | Frank Magdelyns

Wenn es als „stö­rend“ wahr­ge­nom­men wird, Ab­läufe zu un­ter­bre­chen, um ge­sell­schaft­li­che Be­din­gun­gen in­frage zu stel­len, be­steht die Ge­fahr, dass das Grund­recht der De­mons­tra­ti­ons­frei­heit ein­ge­schränkt wird. Cle­mens Arzt, eme­ri­tier­ter Pro­fes­sor für öf­fent­li­ches Recht und im ipb en­ga­giert, be­schreibt, dass die Ver­samm­lungs­be­hör­den nach den Co­rona-be­ding­ten Ein­schrän­kun­gen schnel­ler Ver­samm­lun­gen ver­bie­ten oder durch Auf­la­gen ein­schrän­ken.

Sh­rin­king Spaces (ein­ge­schränkte Hand­lungs­spiel­räume) zu Kli­ma­pro­tes­ten sind fest­zu­stel­len, was Dach­or­ga­ni­sa­tio­nen her­aus­for­dert, sich mit ju­ris­ti­schen Ein­schrän­kun­gen zu be­schäf­ti­gen. Und dass, ob­wohl die Ge­mein­sam­keit zi­vil­ge­sell­schaft­li­chen En­ga­ge­ments doch darin be­steht, das Le­ben bes­ser zu gestalten.

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