Der Austausch in der Gruppe fehlt!“ – Freiwilliges Engagement in der PflegeSelbsthilfe: Gruppenbegleitung in Pandemiezeiten

von Chris­tine Gre­gor und Sa­bine Freigang

In der Kon­takt­stelle Pfle­ge­En­ga­ge­ment Rei­ni­cken­dorf wer­den die Ge­sprächs­grup­pen für pfle­gende An­ge­hö­rige von frei­wil­li­gen Gruppenbegleiter:innen mo­de­riert und be­glei­tet. Sie se­hen sich in Pan­de­mie­zei­ten vor be­son­dere Her­aus­for­de­run­gen ge­stellt. Die­ser Er­fah­rungs­be­richt ba­siert auf Ge­sprä­chen mit zwei Gruppenbegleiter:innen und gibt ei­nen ak­tu­el­len Ein­blick in ihr En­ga­ge­ment in der PflegeSelbsthilfe.

Foto: Pa­tri­cia Kalisch

Pfle­ge­Selbst­hilfe: Was ist das eigentlich? 

Mit die­sem Be­griff ist die Selbst­hilfe im Um­feld von häus­li­cher Pflege ge­meint: von ei­ner Ge­sprächs­gruppe über ge­mein­same Ak­ti­vi­tä­ten bis hin zu nach­bar­schaft­li­cher Hilfe. Im­mer dann, wenn sich Gleich­be­trof­fene ge­gen­sei­tig un­ter­stüt­zen, sich mit ih­rem Expert:innenwissen zur Seite ste­hen, ge­mein­sam ak­tiv wer­den, sich ermu­tigen und sich im wahrs­ten Sinne des Wor­tes selbst hel­fen, spricht man von Pfle­ge­Selbst­hilfe. Grup­pen­an­ge­bote der Pfle­ge­Selbst­hilfe för­dern und ver­bes­sern die Le­bens­qua­li­tät und Selbst­be­stim­mung von sor­gen­den und pfle­gen­den An­ge­hö­ri­gen und hilfe- und pfle­ge­be­dürf­ti­gen Menschen.

 

Wie kamt ihr ur­sprüng­lich zu Eu­ren Engagement?

Die Zu­gangs­wege zu die­ser be­son­de­ren frei­wil­li­gen Tä­tig­keit wa­ren un­ter­schied­lich. Im Fall ei­ner Grup­pen­be­glei­te­rin ent­stand der Kon­takt bei ei­ner Ver­an­stal­tung der Kon­takt­stelle und ei­nem an­schlie­ßen­den Ge­spräch mit ei­ner Mit­arbeiterin: „Da mich der Um­gang in­ner­halb der Gruppe mit­ein­an­der und mit dem schwie­ri­gen Thema be­ein­druckt hat und mich die­ses Thema auch be­trifft, wenn auch aus ei­nem an­de­ren Blick­win­kel, habe ich diese Auf­gabe über­nom­men.“ In ei­nem an­de­ren Fall las der Grup­pen­be­glei­ter bei der Eh­ren­amts­su­che eine An­zeige in der Ber­li­ner Wo­che. Auf­grund von be­ruf­li­chen Vor­er­fah­run­gen mit Mo­de­ra­tion und Grup­pen­be­glei­tung nahm er Kon­takt zur Kon­takt­stelle auf und hat „die Ent­schei­dung bis heute nicht be­reut. Ich freue mich, dass ich am Le­ben an­de­rer ein we­nig teil­ha­ben darf, sie in schwie­ri­gen Zei­ten be­gleite, ei­nen Er­fah­rungs­aus­tausch in der Gruppe in­iti­iere und sehe dies auch als Be­rei­che­rung für mein ei­ge­nes Leben.“

 

Wie hat die Pan­de­mie eure frei­wil­lige Tä­tig­keit verändert?

Die Pan­de­mie hat un­ser En­ga­ge­ment sehr ver­än­dert, weil die Grup­pen nicht mehr oder nur ge­teilt in Klein­grup­pen statt­fin­den kön­nen. Es gibt auch viel mehr di­gi­tale und te­le­fo­ni­sche Kom­mu­ni­ka­tion.“ „Der Kon­takt mit den Ein­zel­nen ist jetzt in­ten­si­ver und kommt an­ders in die Tiefe.“ Doch eine Gruppe kann The­men bes­ser auf­fan­gen und aus un­ter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven be­leuch­ten. Die Gruppenbegleiter:innen sind sich ei­nig, dass Grup­pen­tref­fen vor­zu­zie­hen sind. Sie er­le­ben wei­ter­hin große Wert­schät­zung durch die Teil­neh­men­den, die sich über An­rufe freuen und „dass sich je­mand küm­mert“, oder die sich be­dan­ken, dass die Tref­fen wei­ter­hin statt­fin­den können.

 

Wie ist die ak­tu­elle Si­tua­tion der pfle­gen­den An­ge­hö­ri­gen in eu­ren Gruppen?

Die Pfle­ge­si­tua­tion ist durch die Pan­de­mie ins­ge­samt schwie­ri­ger ge­wor­den und die phy­si­sche und psy­chi­sche Be­las­tung der An­ge­hö­ri­gen stark ge­stie­gen. „Es gibt we­nig Mög­lich­kei­ten der Ent­las­tung oder es ist schwer, das über­haupt zu or­ga­ni­sie­ren, und es gibt durch die weg­fal­len­den oder ein­ge­schränk­ten Grup­pen­tref­fen auch we­ni­ger Ge­le­gen­heit zum Aus­tausch in der ver­trau­ten Gruppe.“

Die Iso­la­tion der pfle­gen­den An­ge­hö­ri­gen ist noch grö­ßer ge­wor­den, als durch die Pfle­ge­si­tua­tion oh­ne­hin schon. Mög­lich­kei­ten, et­was zu un­ter­neh­men, um dem All­tag zu ent­flie­hen, feh­len.  „Ge­rade bei Äl­te­ren gibt es zu­dem das Ge­fühl, ein Teil des Le­bens wird durch die Ein­schrän­kun­gen ge­nom­men, den man nicht nach­ho­len kann, zum Bei­spiel die Ent­wick­lung der En­kel, Tref­fen mit Freun­den.“ „Man­che ha­ben De­pres­sio­nen auf­grund der Ver­schlech­te­rung der all­ge­mei­nen Le­bens­qua­li­tät durch die Pan­de­mie und keine rich­tige Per­spek­tive, wann sich das ändert.“

In zwei Grup­pen sind in den ver­gan­ge­nen Mo­na­ten meh­rere An­ge­hö­rige ver­stor­ben. Ne­ben Trauer und Ein­sam­keit muss nun auch viel Or­ga­ni­sa­to­ri­sches be­wäl­tigt wer­den: „Über die Bü­ro­kra­tie be­kla­gen sich viele pfle­gende An­ge­hö­rige. Zu­dem fehlt es durch die ak­tu­elle Si­tua­tion an Un­ter­stüt­zung. Di­rekte Un­ter­stüt­zung gibt es in der Re­gel im In­ter­net. Äl­tere Men­schen wer­den hier be­nach­tei­ligt, da sie oft kei­nen In­ter­net­an­schluss be­sit­zen be­zie­hungs­weise keine Er­fah­run­gen mit die­sem Me­dium ha­ben.“ Ins­ge­samt wird in der ak­tu­el­len Si­tua­tion deut­lich, welch viel­fäl­tige Un­ter­stüt­zung die Ge­sprächs­grup­pen bie­ten kön­nen, in­dem sie per­sön­li­che Kon­takte er­mög­li­chen, Selbst­sorge för­dern und In­for­ma­tio­nen nied­rig­schwel­lig zu­gäng­lich machen.

 

Wie hal­tet ihr den Kon­takt zu den Gruppenteilnehmer:innen in der Pandemie?

Wenn Grup­pen­tref­fen nicht mög­lich sind, hat sich vor al­lem der te­le­fo­ni­sche Kon­takt be­währt. Es sei eine Mög­lich­keit, Kon­takt mit den Ein­zel­nen zu hal­ten, aber auch die Gruppe zu­sam­men­hal­ten zu kön­nen. Die Teil­neh­men­den freuen sich, dass „sich je­mand küm­mert”, und ein Grup­pen­be­glei­ter ist sich si­cher, „ohne die Te­le­fo­nate gäbe es die Gruppe nicht mehr“. Der Kon­takt mit den Ein­zel­nen ist jetzt in­ten­si­ver. Es wird aber auch ver­sucht, den Kon­takt der Gruppenteilnehmer:innen un­ter­ein­an­der zu in­iti­ie­ren und z.B. Te­le­fo­nate und Spa­zier­gänge anzuregen.

Ei­nige Grup­pen kön­nen sich wei­ter­hin vor Ort tref­fen, al­ler­dings ge­teilt in zwei Klein­grup­pen, die im Wech­sel statt­fin­den. Die Teil­neh­men­den sind froh, dass die Tref­fen über­haupt wei­ter­ge­hen kön­nen, wenn auch we­ni­ger häu­fig als sonst. Auch wird „das ganze Drum­herum als um­ständ­lich emp­fun­den, der Ab­stand, das Lüf­ten, das Des­in­fi­zie­ren und Mas­ken­tra­gen.“ Die Ver­stän­di­gung mit Maske ist ins­be­son­dere für Men­schen mit Hör­be­ein­träch­ti­gung erschwert.

 

Was wünscht ihr euch für eure Gruppe?

Die Ein­zel­kon­takte zu den Mit­glie­dern wäh­rend der Pan­de­mie zu pfle­gen, hat die Gruppe zu­sam­men­ge­hal­ten, aber die Mit­glie­der seh­nen sich nach Grup­pen­tref­fen, „weil sie in der Gruppe ein­fach mehr von­ein­an­der pro­fi­tie­ren, da gibt es mehr In­put für alle“. Sie hof­fen, bald wie­der „eine le­ben­dige Gruppe zu sein, in der die Teilnehmer:innen un­ter­ein­an­der Kon­takt ha­ben und Be­geg­nun­gen auch au­ßer­halb der Grup­pen­tref­fen statt­fin­den“. Wäh­rend der Pan­de­mie sind auch neue Mit­glie­der hin­zu­ge­kom­men, mit de­nen der Aus­tausch bis­her nur te­le­fo­nisch statt­fin­den konnte. Sie end­lich auch per­sön­lich ken­nen­zu­ler­nen und in der Gruppe zu be­grü­ßen, wird bald­mög­lichst erhofft.

Zu­sam­men­ge­stellt von Sa­bine Frei­gang & Chris­tine Gre­gor, Ko­or­di­na­to­rin­nen der Kon­takt­stelle Pfle­ge­En­ga­ge­ment Reinickendorf

Kon­takt: Kon­takt­stelle Pfle­ge­En­ga­ge­ment Rei­ni­cken­dorf, Eich­hors­ter Weg 32, 13435 Berlin
Tel.: 030 – 41 74 57 52, Mail: pflegeengagement[at]unionhilfswerk.de

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LANDESNETZERK BÜRGERENGAGEMENT BERLIN – Blog­bei­trag von Chris­tine Gre­gor und Sa­bine Freigang
zu­letzt über­ar­bei­tet 07.07.2021

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