Not just a place to go, but a place to grow

Mit­glied des Sprecher:innenrates be­suchte auf ei­ner Stu­di­en­reise New York City

Die­ser Bei­trag ist erst­ma­lig bei “Weg­be­glei­ter – Blog des Uni­onhilfs­werk” er­schie­nen. Fo­tos, Links zu den be­such­ten Ein­rich­tun­gen und wei­tere In­for­ma­tio­nen zu den Au­toren kön­nen sie dort finden.

Nicht nur ein Ort, zu dem man ge­hen kann, son­dern auch ein Raum zum Wach­sen.” Dies ist der Kern der Nach­bar­schafts­häu­ser in New York City, wie es Chris be­schreibt. Er ist Di­rek­tor der Ja­cob A. Riis Neigh­bor­hood Sett­le­ment in Long Is­land City und be­glei­tet uns bei ei­ni­gen Sta­tio­nen un­se­rer von der Pa­ri­tä­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin or­ga­ni­sier­ten Stu­di­en­reise. Zu­sam­men mit 13 Kolleg*innen ler­nen wir die Ar­beit von so­zia­len Or­ga­ni­sa­tio­nen u.a. aus der Ge­mein­we­sen- und Ju­gend­ar­beit und der Selbst­hilfe im Mi­gra­ti­ons- und Psych­ia­trie­be­reich kennen.

In dem von Chris ge­lei­te­ten Nach­bar­schafts­haus ler­nen wir das be­ein­dru­ckende Men­to­ring-Pro­jekt „Learn and Earn“ ken­nen. Mi­chael lei­tet das Pro­jekt und be­rich­tet ge­mein­sam mit sechs Ju­gend­li­chen von den Er­fol­gen und Her­aus­for­de­run­gen, Ju­gend­li­che aus so­zial be­nach­tei­lig­ten Fa­mi­lien in Aus­bil­dung und Ar­beit zu brin­gen. Zwei sei­ner ehe­ma­li­gen Men­tees stu­die­ren in­zwi­schen und ge­ben selbst Nach­hilfe für Ju­gend­li­che des Programms.

Jugendliche stärken, Perspektiven aufzeigen

Learn and Earn be­inhal­tet eine ganze Band­breite von Bil­dungs- und Un­ter­stüt­zungs­leis­tun­gen, um Ju­gend­li­che ohne vor­he­rige Per­spek­tive zu stär­ken: Men­to­ring und Be­ra­tung, Zu­gang zur Col­lege-Aus­bil­dung, ei­nen Le­bens­lauf ge­mein­sam er­stel­len, be­zahlte Prak­tika, Trai­ning von Ar­beits­markt-Kom­pe­ten­zen, Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten, eine po­si­tiv-stär­kende Peer-Gruppe und Fi­nan­zie­rung von Li­te­ra­tur. Als fi­nan­zi­el­len An­reiz zur Teil­nahme an dem Men­to­ring gibt es zwi­schen 200 und 300 US-Dol­lar, um z.B. ein ei­ge­nes Note­book an­schaf­fen zu können.

Als Nach­weis des Pro­jekt­er­fol­ges müs­sen u.a. die Ge­halts­be­schei­ni­gun­gen der Aus­bil­dungs­ver­gü­tun­gen vor­ge­legt wer­den. Die Ab­tei­lung für Ju­gend- und So­zi­al­raum­ent­wick­lung (De­part­ment of Youth & Com­mu­nity De­ve­lo­p­ment) der Stadt New York fi­nan­ziert die­ses Pro­gramm. Ju­gend­li­che er­ar­bei­ten sich da­mit noch an­dere Per­spek­ti­ven als die Mi­li­tär­lauf­bahn. Das Learn and Earn-Pro­gamm be­fin­det sich in ei­nem So­zi­al­raum mit dem größ­ten so­zia­len Woh­nungs­bau in den USA. Hier le­ben zwi­schen 11.000 und 12.000 Men­schen, dar­un­ter viele Men­schen mit Mi­gra­ti­ons- und Flucht­er­fah­run­gen. 1888 wurde das Nach­bar­schafts­haus von Ja­cob A. Riis ge­grün­det, der selbst aus Dä­ne­mark nach New York einwanderte.

Flucht, Migration und Zuwanderung

Flucht, Mi­gra­tion, Zu­wan­de­rung, Neu­start sind ganz ak­tu­elle The­men, die die Ge­schichte von New York und der USA bis heute prä­gen. An un­se­rem ers­ten Tag be­su­chen wir das ehe­ma­lige Ein­wan­de­rungs­zen­trum auf El­lis Is­land. Als Tor zur neuen Welt ka­men hier 12 Mil­lio­nen Men­schen aus al­len Tei­len der Welt an, viele von ih­nen aus Eu­ropa. Für 350.000 Men­schen war hier End­sta­tion. Sie muss­ten wie­der zu­rück über den At­lan­tik. Die Zahl lässt er­ah­nen, was für Dra­men und Schick­sale sich hier ab­spiel­ten und wie viele Hoff­nun­gen auf ein bes­se­res Le­ben zerplatzten.

Die En­er­gie in New York City ist von An­fang zu spü­ren – oder ist es die ei­gene Eu­pho­rie? Es ist phan­tas­tisch, in die­ser groß­ar­ti­gen Me­tro­pole un­ter­wegs zu sein. Die Sky­line mit ih­ren Wol­ken­krat­zern ist un­ver­gleich­lich. Die „Hoch­häu­ser“ in Ber­lin kom­men uns fast nied­lich vor.

Der Kampf für die Rechte Betroffener

Ad­vo­cacy ist ein Be­griff, der im­mer wie­der fällt. Da­mit ist die In­ter­es­sen­ver­tre­tung ge­meint – sich für die Rechte Be­trof­fe­ner ein­set­zen und Be­trof­fene darin stär­ken, selbst für ihre Rechte ein­zu­tre­ten und zu kämp­fen. Be­son­ders ein­drück­lich er­fah­ren wir das bei NMIC (Nort­hern Man­hat­tan Im­pro­ve­ment Coope­ra­tion), die sich für die Rechte von Zu­wan­de­rern aus La­tein­ame­rika einsetzt.

Seit 9/11 sind die Zu­wan­de­rungs­ge­setze so ver­schärft wor­den, dass sie viele ne­ga­tive Aus­wir­kun­gen auf die Fa­mi­lien und Be­trof­fe­nen ha­ben. Es gibt große Vor­be­halte der Be­trof­fe­nen, in Flücht­lings­un­ter­künfte zu ge­hen. Gründe da­für sind Dis­kri­mi­nie­rung, feh­lende Eng­lisch-Sprach­kennt­nisse, bis zu zwei­stün­dige An­fahr­ten der Kin­der zu Schu­len und stän­dige Kon­trolle. Die Er­tei­lung von US-Visa dau­ert al­leine 5 Jahre, er­zählt uns Ma­ria (Exe­cu­tive Director).
Ein gro­ßes Pro­blem sind Ag­gres­sio­nen und häus­li­che Ge­walt. NMIC küm­mert sich um alle Be­lange der Fa­mi­lien, un­ter­stützt Frauen, die Ge­walt über­lebt ha­ben, nutzt Kul­tur als Res­source und legt den Fo­kus auf Stär­ken und Res­sour­cen. Statt von Op­fern, wird von Über­le­ben­den („Sur­vi­vors“) gesprochen.

Ad­vo­cacy nimmt au­ßer­dem ei­nen viel grö­ße­ren An­teil bei dem Stu­dium der So­ziar­beit ein als bei uns in Deutsch­land. Da­bei sind recht­li­che Kennt­nisse, der Ein­satz für Rechte von Be­trof­fe­nen und der Ein­satz ge­gen Ras­sis­mus und für Di­ver­sity, Gleich­heit und In­klu­sion Kom­pe­tenz­fel­der, die im Stu­dium ver­mit­telt werden.

Das Sozialarbeitsstudium in den USA ist mehr klient*innen- und therapieorientiert

Sozialarbeiter*innen sind mit ei­nem Ab­schluss be­rech­tigt, auch Su­per­vi­sio­nen und Coa­ching an­zu­bie­ten, was viele er­fah­rene Kolleg*innen auch tun. Sozialarbeiter*innen wer­den zu­neh­mend ge­braucht und spie­len eine im­mer wich­ti­gere Rolle (+12 % bis 2030). Wenn die Vor­aus­set­zun­gen der Stel­len­aus­schrei­bun­gen er­füllt sind und ein Ar­beits­visa be­steht, könnte eine deut­sche So­zi­al­ar­bei­te­rin so­fort anfangen.

Hilfe zur Selbsthilfe

Ein zwei­ter zen­tra­ler Be­griff ist das Em­power­ment der Be­trof­fe­nen, der Hilfe zur Selbst­hilfe. Die be­rüh­rendste Er­fah­rung wäh­rend der Stu­di­en­reise er­le­ben wir bei dem Be­such ei­nes Em­power­ment-Pro­jek­tes von psy­chisch kran­ken Menschen.
Howie the Harp, Howie mit der Harfe heißt das Pro­jekt und wurde 1970 von Howie ge­grün­det. Er litt an ei­ner ma­nisch-de­pres­si­ven Erkrankung.
Ziel des Pro­jek­tes ist, dass Be­trof­fende sich un­ter­ein­an­der stär­ken und stüt­zen und so ein mitt­ler­weile rie­si­ges Netz­werk in NYC bil­den. Nur wer selbst „er­krankt“ ist, kann sich die­sem Netz­werk an­schlie­ßen und un­ter­stüt­zend tä­tig sein. Das Pro­jekt nimmt Teil­neh­mende aus al­len so­zia­len Schich­ten und Be­rufs­grup­pen auf und ver­mit­telt durch Of­fen­heit und Ehr­lich­keit ei­nen nach­hal­ti­gen Ein­druck bei al­len Teil­neh­men­den der Studienreise.

Nachbarschaftshäuser mit Unterstützungsangeboten

Ei­ner der zen­tra­len Punkte der Stu­di­en­reise sind die in New York seit Ende des 19. Jahr­hun­derts exis­tie­ren­den Sett­le­ment Houses. Man könnte sie be­schrei­ben als Nach­bar­schafts­häu­ser, die sich zur Zeit ih­rer Ent­ste­hung schon um die Be­lange der Men­schen in der un­mit­tel­ba­ren Nach­bar­schaft sorg­ten. Das his­to­risch äl­teste un­ter ih­nen ist das Henry Street Sett­le­ment. Hier war es Li­lian Wald, die mit ih­rem En­ga­ge­ment ein rie­si­ges Netz­werk er­schuf, das bis heute eine Band­breite an Ak­ti­vi­tä­ten und Un­ter­stüt­zungs­pro­gram­men für die so­zial schwa­che Be­völ­ke­rung in New York bie­tet und über die Gren­zen des Bun­des­staa­tes hin­aus be­kannt ist.

Vie­len herz­li­chen Dank an die Stif­tung Uni­onhilfs­werk Ber­lin, die uns die Stu­di­en­reise er­mög­licht hat, an Di­lek Yüksel von der Pa­ri­tä­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin für die Or­ga­ni­sa­tion und an Prof. Heinz Stapf-Finé für die Studienleitung!

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LANDESNETZERK BÜRGERENGAGEMENT BERLIN – Blog­bei­trag von Da­niel Büchel
zu­letzt über­ar­bei­tet 08.06.2023

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