Was ist Einsamkeit?

Von Eve­line Harder

Ein­sam sind Men­schen, de­ren Um­feld sich im Laufe der Zeit völ­lig ver­än­dert hat. Der Ehe-/Le­bens­part­ner ist ver­stor­ben, der Freun­des­kreis hat sich zu­rück­ge­zo­gen oder ist ganz ver­schwun­den, er­krankt, bett­lä­ge­rig oder ver­stor­ben. Und wenn dann der ver­ein­samte Mensch nicht in eine De­pres­sion ver­fällt, dann ver­sucht er am An­fang noch, Kino- und Thea­ter­be­su­che al­lein zu be­wäl­ti­gen. Mit zu­neh­men­dem Al­ter fällt aber auch dies flach, weil der äl­tere Mensch abends oder nachts nicht mit den öf­fent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln fah­ren will. Jetzt ver­schließt sich der Mensch, lehnt lose Kon­takte ab und ver­bringt seine Zeit in der Woh­nung vor dem Fern­se­her, der Tag und Nacht läuft – schon als Ge­räusch­ku­lisse. Er geht ein­kau­fen, wenn viele Men­schen un­ter­wegs sind und er ein Bad in der Menge nimmt. Hinzu kommt auch die Kos­ten­frage, näm­lich: Teil­habe am öf­fent­li­chen Le­ben kos­tet Geld. Und das ist nach dem Tod des Le­bens­part­ners auch we­ni­ger geworden.

Da kein Freun­des­kreis mehr vor­han­den ist, gibt es kei­nen Brief­wech­sel mehr, der noch von der äl­te­ren Ge­nera­tion ge­pflegt  wird.

Schon Mar­ga­rete Mit­scher­lich-Niel­sen (1917–2012) sagte, sie konnte nur so alt und le­ben­dig am Le­ben teil­neh­men, weil sie Kon­takt hatte und nicht nur mit Gleich­alt­ri­gen son­dern auch mit vie­len Ju­gend­li­chen den Aus­tausch pflegte. Kom­mu­ni­ka­tion ist im Al­ter wich­tig, das A und O.

Ich denke da­bei hier in Ber­lin an das So­zi­al­werk Ber­lin e.V., ein Al­ten­selbst­hil­fe­zen­trum in Ber­lin-Gru­ne­wald, das von ca. 100 Eh­ren­amt­li­chen be­wirt­schaf­tet wird, 26 In­ter­es­sen­kreise hat, und wo sich die Mit­glie­der um­ein­an­der küm­mern (www.sozialwerk-berlin.de). So­bald je­mand im Kreis fehlt, wird an­ge­ru­fen, Hilfe bei Krank­heit, Kran­ken­haus­auf­ent­halt etc. angeboten.

Für den Ein­sa­men wäre es ein gro­ßer Schritt, Kon­takt nach au­ßen auf­zu­neh­men. Oft aber ist da das Ge­fühl, in ei­nem Mäu­seglas zu sit­zen und nicht her­aus­zu­kom­men. Es wird jede Hilfe ab­ge­lehnt oder als Be­läs­ti­gung emp­fun­den, und so ver­gräbt sich der Ein­same wei­ter in sei­ner Behausung.

So ein­fach zum Te­le­fon­hö­rer zu grei­fen, um ein Ge­spräch zu füh­ren, ist eine rie­sige Her­aus­for­de­rung. Dazu ge­hört Mut und der Wille, die Ein­sam­keit zu durch­bre­chen. Das An­ge­bot von SILBERNETZ, der Te­le­fon­hot­line für ein­same Men­schen ab 60 (www.silbernetz.org), ist her­vor­ra­gend ge­eig­net, hier Ab­hilfe zu leis­ten. Nur muss das In­ter­esse hier­für auf­recht er­hal­ten bleiben.

Nach­bar­schafts­hilfe ist eben­falls eine Mög­lich­keit, hier Ab­hilfe zu schaf­fen. Pfle­gen Sie Kon­takt zu Ih­ren Nachbarn!

Ich schil­dere Ih­nen den Fall ei­ner 82-jäh­ri­gen Frau, de­ren Mann im April 2018 ver­stor­ben ist. Sie ist auf den Rol­la­tor bzw. Roll­stuhl an­ge­wie­sen, hat ab­wech­selnd zwei Pfle­ge­kräfte von Mo-So von 8 bis 12 Uhr, und dann ist sie al­lein. Die Toch­ter ist be­rufs­tä­tig. Ja, und der Freun­des­kreis mel­det sich nicht mehr, zieht sich zu­rück, wie das nicht sel­ten ge­schieht nach ei­nem Trau­er­fall. Man möchte keine Kla­gen hö­ren, und so mel­det sich nie­mand mehr. Die Leere, die ent­steht, wenn ein Ehe­paar 40 oder 50 Jahre ver­hei­ra­tet war, ist im­mens. Der Tag zieht sich un­end­lich in die Länge.

Zu ver­wei­sen ist auch auf das Pro­jekt „Tante Inge“, das auf der Ver­an­stal­tung von ZEIT ONLINE 2017 vor­ge­stellt wurde an­läss­lich des Work­shops „Alte Sä­cke und junge Spunde“ – das ich sei­ner­zeit um­ge­tauft habe in „Alte Schach­teln und jun­ges Ge­müse“, weil es die Ziel­gruppe nä­her be­schreibt (www.greenwindow.com). Hier wird die Kon­takt­auf­nahme zwi­schen Jung und Alt nicht nur emp­foh­len, son­dern ge­wünscht. Wir Al­ten ha­ben den Jun­gen noch viel zu sa­gen und kön­nen auch zu­hö­ren und um­ge­kehrt auch. Im­mer wie­der Kom­mu­ni­ka­tion ist angesagt!

Dann sei noch auf ein Pro­jekt aus den Nie­der­lan­den ver­wie­sen, das sich „Ick bin Alice“ (ein Film) nennt (https://prisma-hsg.ch). Hier wird eine Com­pu­ter­puppe zu den ein­sa­men Men­schen ge­bracht, da­mit sie sich un­ter­hal­ten und auch be­schäf­ti­gen kön­nen, z.B. An­lei­tung zur täg­li­chen Gym­nas­tik. Schreck­lich und schön zugleich.

Wei­tere In­for­ma­tio­nen im rbb-Ge­sund­heits­ma­ga­zin vom 4.12.2019 (ver­füg­bar bis 4.12.2020):

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LANDESNETZERK BÜRGERENGAGEMENT BERLIN – Blog­bei­trag von Eve­line Harder
zu­letzt über­ar­bei­tet 11.12.2019

 

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