Susanna Kahlefeld zur Berliner Engagementstrategie

Das Landesnetzwerk Bürgerengagement Berlin befragt in loser Folge Politiker:innen im Abgeordnetenhaus zur Berliner Engagementstrategie. Heute antwortet Susanna Kahlefeld, Sprecherin für Partizipation und Beteiligung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Kah­le­feld, Sie ha­ben sich im Aus­schuss für bür­ger­schaft­li­ches En­ga­ge­ment und Partizipation­ für eine Ber­li­ner En­ga­ge­ment­stra­te­gie ein­ge­setzt. Wozu braucht un­sere Stadt eine sol­che Strategie?

Foto: Bar­bara Dietl

Ich habe schon in der letz­ten Le­gis­la­tur für meine Frak­tion ei­nen An­trag for­mu­liert, in dem wir – ba­sie­rend auf der Ar­beit des Landesnetzwerks­ („Ber­li­ner Charta zum bür­ger­schaft­li­chen En­ga­ge­ment“) – eine Engagementstrategie­ für Ber­lin ge­for­dert ha­ben. Mit der nun vor­lie­gen­den Engagementstrategie­ for­mu­liert Ber­lin sein Ver­ständ­nis von Engagement­ und ­Engagementpolitik­ – das ist für zu­künf­tige Ent­schei­dun­gen richtungsweisend.

Ich nenne ein Bei­spiel, um es an­schau­lich zu ma­chen, was ich meine: Von den Be­tei­lig­ten aus der Bür­ger­schaft wurde der Be­griff „Anerkennungskultur­“ kri­ti­siert, weil er eine Hier­ar­chie zwi­schen Politiker*innen­ und Politikern­, die gerne öf­fent­lich­keits­wirk­sam „an­er­ken­nen“ ei­ner­seits, und den En­ga­gier­ten an­de­rer­seits im­pli­ziert. Der Be­griff wurde in der ers­ten öf­fent­li­chen Werk­statt en­er­gisch um­in­ter­pre­tiert: Po­li­tik und Ver­wal­tung sind auf­ge­for­dert, „die ei­gene Rolle zu über­den­ken, um den Ei­gen­sinn und die Ei­gen­stän­dig­keit zi­vil­ge­sell­schaft­li­chen En­ga­ge­ments zu ge­währ­leis­ten.“ In die­sem Sinne be­deu­tet An­er­ken­nung die Er­mög­li­chung ei­ner ak­ti­ven Zi­vil­ge­sell­schaft. Räume er­hal­ten, Öf­fent­lich­keits­ar­beit und Ver­net­zungs­mög­lich­kei­ten be­reit­stel­len, Schaf­fung und Er­halt von Struk­tu­ren, Haupt­amt fi­nan­zie­ren etc.  So sind auch an­dere Be­griff mit In­halt ge­füllt wor­den. An die­sem Ver­ständ­nis muss sich zu­künf­tig ­En­ga­ge­ment­-Po­li­tik­ aus­rich­ten.

Was hal­ten Sie für be­son­ders ge­lun­gen an der En­ga­ge­ment­stra­te­gie und wo se­hen Sie der­zeit den größ­ten Hand­lungs­be­darf bei ih­rer Umsetzung?

Für be­son­ders ge­lun­gen und für be­son­ders wich­tig halte ich das ge­rade skiz­zierte Ver­ständ­nis des Ver­hält­nis­ses von Po­li­tik zu En­ga­ge­ment. Frei­wil­li­ges En­ga­ge­ment ist nicht nur eine so­ziale Stütze, nicht nur in­no­va­tiv, schnell und wi­der­stän­dig, son­dern ein we­sent­li­ches Ele­ment der de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft. En­ga­ge­ment ist De­mo­kra­tie­för­de­rung und in ei­ner De­mo­kra­tie kön­nen en­ga­gierte Bürger:innen von Po­li­tik for­dern, dass ihre frei­wil­lige Tä­tig­keit Un­ter­stüt­zung er­fährt. Die Dis­kus­sion dar­über, ob En­ga­ge­ment staat­li­che Aufgaben­ er­setzt, wie es zum Haupt­amt steht und ob es ei­nen An­spruch auf För­de­rung (finanziell­, struk­tu­rell …) hat, ist da­mit auf ei­nen so­li­den Bo­den gestellt.

Ei­nen zwei­ten Punkt halte ich eben­falls für wich­tig: In der Stra­te­gie ist jetzt die För­de­rung des Lan­des­netz­werks Bür­ger­en­ga­ge­ment fest­ge­schrie­ben. Das Lan­des­netz­werk ist seit vielen­ Jah­ren eine Un­ter­stüt­zung von En­ga­ge­ment, die aus der Zi­vil­ge­sell­schaft selbst entwickelt­ wurde. Diese pass­ge­nauen Un­ter­stüt­zungs­an­ge­bote für die un­ter­schied­li­chen Be­rei­che des En­ga­ge­ments, die Fle­xi­bi­li­tät und der enorme Wis­sens­spei­cher über Engagement­ sol­len zu­künf­tig bes­ser ge­för­dert werden.

Hand­lungs­be­darf sehe ich im Be­reich Di­gi­ta­li­sie­rung: Di­gi­ta­li­sie­rung be­deu­tet ja nicht nur die Be­reit­stel­lung von End­ge­rä­ten und die Wei­ter­bil­dung zur An­wen­dung ver­schie­de­ner Tools, son­dern sie ist ein kol­lek­ti­ver Lern­pro­zes­ses. Er­le­ben, was di­gi­tal al­les mög­lich ist, wo Di­gi­ta­li­sie­rung die Ar­beit un­ter­stützt oder gar erst er­mög­licht, wo aber auch die Gren­zen di­gi­ta­ler Tools sind (an­ge­fan­gen beim Da­ten­schutz bis hin zur neuen Wert­schät­zung von per­sön­li­chen Be­geg­nun­gen und dem Er­le­ben von Krea­ti­vi­tät im tat­säch­li­chen, räum­li­chen Zu­sam­men­sein). Die­ser Lern­pro­zess wird noch lange und auch nach Co­rona an­hal­ten. Ihn zu be­glei­ten ist we­sent­lich für das Ge­lin­gen der di­gi­ta­len Transformation.

In der Stra­te­gie wird emp­foh­len, das Lan­des­netz­werk Bür­ger­en­ga­ge­ment Ber­lin zu för­dern. Wie sollte Ih­rer Mei­nung nach ein sol­che För­de­rung aussehen?

Wir wer­den uns für die Be­reit­stel­lung von Mit­teln ein­set­zen. Über die Höhe kann ich jetzt noch nichts sa­gen. Was wirk­lich mög­lich sein wird, ist Teil der Haus­halts­ver­hand­lun­gen und auch ab­hän­gig von der Haus­halts­lage un­ter Corona.

Wie schät­zen Sie die Be­deu­tung des Lan­des­netz­werks Bür­ger­en­ga­ge­ment für die Ak­ti­vie­rung der Zi­vil­ge­sell­schaft und für die Stär­kung der De­mo­kra­tie ein?

Das Lan­des­netz­werk Bür­ger­en­ga­ge­ment hat kon­ti­nu­ier­lich und über Jahre hin­weg in Ber­lin En­ga­ge­ment ge­för­dert: Durch kon­krete Un­ter­stüt­zung, aber auch durch die bun­des­weite Netz­werk­ar­beit und die ste­tige Re­fle­xion auf En­ga­ge­ment und seine Be­deu­tung für die de­mo­kra­ti­sche Ge­sell­schaft. Die Run­den Ti­sche, die Grund­la­gen­texte („Ber­li­ner Charta“ von 2004, „Zu­kunft der Ber­li­ner En­ga­ge­ment­land­schaft“ etc.), die di­ver­si­täts­of­fene Ent­wick­lung im Netz­werk sel­ber – das al­les ist un­ver­zicht­bar und Po­li­tik tut gut daran, in Ko­ope­ra­tion zu gehen.

Ber­lin ist Eu­ro­päi­sche Frei­wil­li­gen­haupt­stadt 2021. Was sollte Ih­rer Mei­nung nach in die­sem Jahr ge­sche­hen, um die­sem Ti­tel ge­recht zu werden?

Al­les Wich­tige ist in der En­ga­ge­ment­stra­te­gie for­mu­liert. Jetzt geht es an die Um­set­zung. Von die­sem Jahr als Frei­wil­li­gen­haupt­stadt er­hoffe ich mir eine Er­mu­ti­gung für die vie­len En­ga­gier­ten in der Co­rona-Krise. Auf­mun­te­rung durch die ge­plan­ten Ver­an­stal­tun­gen, etwas­, was das Jahr er­freu­li­cher macht. Das wäre wich­tig – und ich denke, ge­nauso wird es auch. Der In­no­va­ti­ons­wett­be­werb läuft noch, die Ak­ti­ons­fel­der sind gut ge­wählt. Das al­les hilft beim „Über­ste­hen“ der vie­len Corona-Einschränkungen.

In wel­chen Be­rei­chen en­ga­gie­ren Sie sich selbst bürgerschaftlich? 

Ich habe mein En­ga­ge­ment ra­di­kal zu­rück­ge­fah­ren, als ich ins Ab­ge­ord­ne­ten­haus ge­wählt wurde. Das ist mir nicht leicht­ge­fal­len, denn vor­her war ich nicht nur für die Grü­nen in der Be­zirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung Neu­köllns (dass auch das ein Eh­ren­amt ist, ver­gisst man oft), son­dern in meh­re­ren Ver­ei­nen und In­itia­ti­ven. Ich fand, wenn man sein Geld mit Po­li­tik ver­dient, sollte man sich im En­ga­ge­ment in die zweite oder dritte Reihe zu­rück­zie­hen, weil die Par­tei­zu­ge­hö­rig­keit dann zu do­mi­nant wahr­ge­nom­men wird. Der­zeit bin ich im Vorstand­ von zwei Ver­ei­nen, und zwar Sol­wodi und im Bünd­nis Neu­kölln, das auch in die­sem Jahr wie­der das Fes­ti­val „Of­fe­nes Neu­kölln“ ver­an­stal­ten wird.

Mitmachen

LANDESNETZERK BÜRGERENGAGEMENT BERLIN – In­ter­view von Hel­mut Herold
zu­letzt über­ar­bei­tet 10.03.2021

Print Friendly, PDF & Email