Keine Zukunft für Zivilgesellschaft?

Zivilgesellschaft.Gestalten.Wir!

von Marc D. Ludwig

Auf der 57. Mit­glie­der­ver­samm­lung des Lan­des­netz­werks Bür­ger­en­ga­ge­ment wur­den die Ber­li­ner Charta zum Bür­ger­schaft­li­chen En­ga­ge­ment wei­ter­ent­wi­ckelt und Rück­mel­dun­gen der Par­teien zu den Wahl­prüf­stei­nen vor­ge­stellt. Was die Po­li­tik aus der Ber­li­ner En­ga­ge­ment­stra­te­gie macht, bleibt je­doch un­be­ant­wor­tet. Der ent­stan­dene “Ber­li­ner Ap­pell” macht deut­lich, dass der­zeit un­klar ist, wie mit der Zi­vil­ge­sell­schaft in Zu­kunft zu­sam­men­ge­ar­bei­tet wer­den soll.

Die zwei­ein­halb Stun­den der Mit­glie­der­ver­samm­lung hatte eine um­fang­rei­che Ta­ges­ord­nung. Über 30 zi­vil­ge­sell­schaft­li­che Or­ga­ni­sa­tio­nen tra­fen sich – die­ses Mal am Vor­mit­tag – zur re­gu­lä­ren di­gi­ta­len Mit­glie­der­ver­samm­lung des Lan­des­netz­werks Bür­ger­en­ga­ge­ment, dis­ku­tier­ten, be­rat­schlag­ten und tausch­ten sich über ihre Er­fah­run­gen mit Wahl­prüf­stei­nen und Lob­by­ar­beit in der ver­gan­ge­nen Se­nats­le­gis­la­tur aus.

Es wurde deut­lich: das Lan­des­netz­werk entwickelt­ sich mit sei­nen Fach­krei­sen, sei­ner Ber­li­ner Frei­wil­li­gen­börse und vor al­lem sei­nen 5 wich­tigs­ten Auf­ga­ben­stel­lun­gen wei­ter und bleibt in der Pan­de­mie nicht ste­hen. Frag­lich blieb für die An­we­sen­den, wel­che Be­deu­tung je­doch Zi­vil­ge­sell­schaft ins­ge­samt für die ge­samt­ge­sell­schaft­li­che Zu­kunft ha­ben soll, in­wie­fern Sys­tem­re­le­vanz und Kri­sen­re­si­li­enz für den Be­reich des Bür­ger­schaft­li­chen En­ga­ge­ments von der Po­li­tik im Wahl­kampf über­haupt noch the­ma­ti­siert wer­den wird. Bis dato re­agier­ten die Ber­li­ner Par­teien auf eine För­de­rung des Lan­de­netz­werks wei­ter­hin größ­ten­teils ausweichend.

Weiterentwicklung der Berliner Charta für Bürgerschaftliches Engagement

Be­reits 2004 ver­stän­dig­ten sich 150 Ber­li­ner Or­ga­ni­sa­tio­nen in der Ber­li­ner Charta für Bür­ger­schaft­li­ches En­ga­ge­ment auf eine ge­mein­schaft­li­che Wer­te­grund­lage. Die­ses Wer­te­be­kennt­nis wurde im Zuge der Eh­ren­amts- und Ver­eins­hil­fen im Win­ter 2020 von der Se­nats­kanz­lei von an­trag­stel­len­den Or­ga­ni­sa­tio­nen mit eingefordert.

Der Sprecher:innenrat hat auf Grund­lage der Ein­drü­cke der 56. Mitglieder­versammlung die Ber­li­ner Charta über­ar­bei­tet . Neu in die Charta auf­ge­nom­men wer­den soll die „ge­sell­schaft­li­che Viel­falt“. Di­ver­si­täts­ori­en­tie­rung wird mit ei­nem neuen Punkt 4. aus­ge­führt  und in ih­rer Be­deu­tung im Zuge der Um­set­zung des Ber­li­ner All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) un­ter­stri­chen. In Punkt 6 wird zu­künf­tig zu­dem zu­sätz­lich Ver­net­zung und (Demokratie-)Stärkung her­vor­ge­ho­ben, wes­halb auch Punkt 5 um Em­power­ment und Be­tei­li­gung er­gänzt wer­den soll. Die 57. MV stimmte die­sen Über­ar­bei­tungs­pas­sa­gen zu. Da­mit hat das Lan­des­netz­werk Bür­ger­en­ga­ge­ment Ber­lin eine ak­tua­li­sierte Wer­te­grund­lage erhalten.

Rückmeldung zu Wahlprüfsteinen
durch CDU, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE 

Die bis­he­ri­gen Rück­mel­dun­gen zu den Wahl­prüf­stei­nen wur­den ge­sich­tet und erste­ Er­geb­nisse mit den An­we­sen­den der Sit­zung ge­teilt. SPD und FDP ha­ben sich nicht geäußert.

Diese Rück­mel­dun­gen las­sen ver­mu­ten, dass die Zi­vil­ge­sell­schaft ihre Kri­sen­fes­tig­keit auch auf Dauer dar­stel­len muss. Es soll stär­ker an die Sub­si­dia­ri­tät und Ei­gen­ver­ant­wor­tung ap­pel­liert wer­den, aber auch Ber­lin als Stadt des Eh­ren­am­tes wei­ter­ent­wi­ckelt wer­den (Ber­li­ner De­mo­kra­tietag; De­mo­kra­tie­för­der­ge­setz für Ber­lin; Bürger:innenräte und Bür­ger­haus­halte). Quar­tiers- und Stadt­teil­räte sol­len ent­ste­hen und Be­tei­li­gungs­bü­ros ge­schaf­fen wer­den. Pi­lot­pro­jekte sol­len das Eh­ren­amt stär­ken. Bür­ger­schaft­lich En­ga­gierte sol­len mit dem Ci­ty­Lab in­ten­si­ver zu­sam­men­ar­bei­ten und eine lan­des­weite Vol­un­tee­ring­da­ten­bank soll ent­ste­hen. Fer­ner sol­len das Eu­ro­päi­sche Städ­te­netz­werk durch mehr Aus­tausch ge­stärkt wer­den so­wie die Zu­sam­men­ar­beit der Part­ner­städte wei­ter­ent­wi­ckelt werden.

Adres­siert wur­den in den Wahl­prüf­stei­nen Fra­gen zu den The­men De­mo­kra­tie, Par­ti­zi­pa­tion, Teil­habe stär­ken!, Eh­ren­amt braucht Haupt­amt, Di­gi­ta­li­sie­rung, drin­gend! und Eu­ro­päi­sche Freiwilligenhauptstadt:

  • Wel­che Wege sieht Ihre Par­tei, den An­spruch auf eine breite de­mo­kra­ti­sche Teil­habe al­ler Berliner:innen nach­hal­tig zu un­ter­stüt­zen? (z.B. Pro­gramme der De­mo­kra­tie­för­de­rung, Demokratiebildung)
  • Wel­che kon­kre­ten Mög­lich­kei­ten er­kennt Ihre Par­tei, eine in­klu­sive und di­verse Teil­habe von Men­schen zu för­dern, die im bür­ger­schaft­li­chen En­ga­ge­ment bis­her re­la­tiv we­nig ver­tre­ten sind? (z.B. von Ar­mut Be­trof­fene, Ar­beits­su­chende, Men­schen mit Be­hin­de­rung, ohne/mit nied­ri­gem Bil­dungs­ab­schluss, Mi­gran­ten, Alleierziehende, …)
  • Wel­che Schritte se­hen Sie vor zur be­schlos­se­nen För­de­rung des Lan­des­netz­wer­kes Bür­ger­en­ga­ge­ment Ber­lin als zen­trale Wis­sens- und Aus­tausch­platt­form der Ber­li­ner Zivilgesellschaft??
  • Wie steht Ihre Par­tei zu ei­ner Fi­nan­zie­rung von haupt­amt­li­chen Ansprech­partner:innen in ge­mein­nüt­zi­gen Organisationen
  • Wel­che Un­ter­stüt­zungs­leis­tun­gen (ins­be­son­dere Hard­ware, Soft­ware, Lern­an­ge­bote, Ver­net­zung) für Frei­wil­li­gen­or­ga­ni­sa­tio­nen kön­nen aus der Sicht Ih­rer Par­tei ge­schaf­fen werden?
  • Wel­che Wege schlägt Ihre Par­tei ein, um in­ter­net­ferne Ziel­grup­pen bes­ser er­rei­chen und in­klu­die­ren zu können?

Or­ga­ni­sa­tio­nen in­ner­halb des Lan­des­netz­werks, die selbst Wahl­prüf­steine ver­schickt ha­ben, wer­den ge­be­ten, den Sprecher:innenrat zu informieren.

Vorstellung der TOP 5‑Ziele für die 7. Legislatur

Der Sprecher:innenrat des Lan­des­netz­werks stellte Schwer­punkt­the­men vor, die der­zeit am stärks­ten vor­an­ge­bracht wer­den. Diese ent­stan­den auf Grund­lage der Er­geb­nisse aus der Klein­grup­pen­ar­beit der letz­ten Mit­glie­der­ver­samm­lung und wur­den in der ak­tu­el­len Sit­zung be­stä­tigt und leicht ergänzt.

  • En­ga­ge­ment­po­li­tik, Par­ti­zi­pa­tion bei Um­set­zung der Ber­li­ner En­ga­ge­ment­stra­te­gie 2020 – 2025
    An obers­ter Stelle steht die Lob­by­ar­beit für Bür­ger­schaft­li­ches En­ga­ge­ment und zi­vil­ge­sell­schaft­li­che In­itia­ti­ven und Or­ga­ni­sa­tio­nen. Da die in Aus­sicht ge­stellte Sit­zung des Be­gleit­gre­mi­ums zur Ber­li­ner Engagementstrategie­ durch die Senatskanzlei­ im Juni nicht statt­ge­fun­den hat, ist der­zeit un­klar wie es mit der En­ga­ge­ment­stra­te­gie wei­ter­geht. Sich für die För­de­rung von In­fra­struk­tur­ein­rich­tun­gen ein­zu­set­zen bleibt so­mit wei­ter­hin Haupt­auf­gabe, um z.B. Eh­ren­amt durch Haupt­amt zu unterstützen.
  • In­klu­sive Gesellschaft!
    De­mo­kra­tie­ent­wick­lung muss auch mit Blick durch Di­ver­si­täts­ori­en­tie­rung als Teil­habe der nicht In­klu­dier­ten statt­fin­den. Hier­für sind di­rekte Be­geg­nun­gen not­wen­dig. (Punkt wird auf­grund von Rück­mel­dun­gen noch ergänzt.)
  • Struk­tu­relle Fol­gen der Co­rona-Pan­de­mie aufarbeiten
    Wer sind die Ver­liere der Krise und wo steht die Zi­vil­ge­sell­schaft? Längst sind Struk­tur­ver­än­de­run­gen auch in­ner­halb zi­vil­ge­sell­schaft­li­cher Or­ga­ni­sa­tio­nen fest­zu­stel­len, da­her ist ein wei­te­rer Er­fah­rungs­aus­tausch not­wen­dig. Grup­pen müs­sen un­ter­stützt wer­den, auf neue Eh­ren­amt­li­che zu­zu­ge­hen. Di­gi­ta­li­sie­rung muss da­bei die Teil­habe al­ler fördern.
  • Fach­kreis Zi­vil­ge­sell­schafts­for­schung, Ko­ope­ra­tion mit Hochschulen
    Die An­we­sen­den stimm­ten für die Grün­dung ei­ner Fach­gruppe Zi­vil­ge­sell­schafts­for­schung, in der Pra­xis-Theo­rie-Trans­fer wei­ter ge­för­dert wer­den soll und Aus­tausch zu Be­tei­li­gungs­mo­del­len der Zi­vil­ge­sell­schaft an For­schung er­mög­licht wird.
  • Netz­werk­ent­wick­lung mit Wir­kung für die Mit­glieds­or­ga­ni­sa­tio­nen, Lob­by­ar­beit und ak­tive Beteiligung
    Das Lan­des­netz­werk Bür­ger­en­ga­ge­ment wird auch wei­ter­hin Netz­werk­ent­wick­lung maß­geb­lich vorantreiben.
Wie sieht die Zukunft für die Zivilgesellschaft aus?

Durch die ge­samte Mit­glie­der­ver­samm­lung zog sich die Frage, wie Po­li­tik zukünftig­ mit Zi­vil­ge­sell­schaft zu­sam­men­ar­bei­ten wird. In­for­ma­tio­nen zur Umsetzung­ der Ber­li­ner En­ga­ge­ment­stra­te­gie sei­tens der Se­nats­kanz­lei lie­gen bis­her nicht vor.

Diese Sorge wird im “Ber­li­ner Ap­pell” deut­lich, der im Nach­gang der Mit­glie­der­ver­samm­lung ver­öf­fent­licht wurde.

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LANDESNETZERK BÜRGERENGAGEMENT BERLIN – Blog­bei­trag von Marc D. Ludwig
zu­letzt über­ar­bei­tet 04.07.2021

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