Einsatz gegen das Schweigen im Bezirksamt

Foto SW

Wie drei Anwohner:innen um ver­bind­li­che Bür­ger­be­tei­li­gung kämpfen

Als sich ein Spit­zen­po­li­ti­ker vor drei Jah­ren vor lau­fen­den Ka­me­ras ver­plap­perte, Po­li­tik sei eine Sa­che für Pro­fis, sprach er aus, was so manche:r in der Po­li­tik denkt. Wie aber al­lein drei Leute aus ei­nem Ber­li­ner Kiez auf ihre po­li­tisch wich­tige Vor­ort-Ex­per­tise be­har­ren und be­zirk­li­che Pro­zesse in Be­we­gung brin­gen kön­nen, das be­weist die In­itia­tive Bürger:innenbeteiligung Lich­ter­felde Ost.

Ste­glitz-Zehlen­dorf gilt als wohl­ha­bend. Hier ist Ber­lin – mit ei­nem Durch­schnitts­al­ter von 46,4 Jah­ren – am äl­tes­ten. Über ei­nem Drit­tel des Be­zirks er­stre­cken sich Wald und Ge­wäs­ser. Das Le­ben läuft et­was be­schau­li­cher und die Po­li­tik brauchte ver­mut­lich we­ni­ger mit der Kon­trolle oder Ein­fluss­nahme durch die Bür­ger­schaft rechnen.

von Sa­bine Walther

 

 

Liebe zum Kiez ent­fal­tet Kräfte –  und deckt struk­tu­relle Miss­stände auf

Bis 2019 konn­ten die Bewohner:innen des Kra­nold­kiezes zu Fü­ßen des S‑Bahnhofs Lich­ter­felde Ost ih­ren Le­bens­freu­den und Fein­schme­cker­ge­lüs­ten im und um den 100-jäh­ri­gen Fer­di­nand­markt frö­nen: Hier gab es im Holz­ofen ge­ba­cke­nes Brot, frisch ge­zapf­tes Spree­wald-Leinöl, haus­ge­machte Mar­me­la­den, Spe­zia­li­tä­ten ei­ner Land­kä­se­rei, re­gio­na­les Obst und Ge­müse – ein bun­tes Marktrei­ben eben. Nun hat das Areal ei­nen neuen Be­sit­zer, der Ent­mie­tung an­strebt, um groß­flä­chi­gem Ge­werbe den Vor­zug vor den alt­ein­ge­ses­se­nen klei­nen Lä­den zu ge­ben. Die Bürger:innen pro­tes­tier­ten, grün­de­ten im Fe­bruar 2020 den Kra­nold­kiez-Lich­ter­felde e.V., konn­ten aber die Schlie­ßung des Fer­di­nand­mark­tes im Sep­tem­ber 2020 nicht mehr auf­hal­ten. Deut­lich wurde, das Be­zirks­amt küm­merte der Er­halt städ­te­bau­li­cher Ei­gen­art zu we­nig und noch viel we­ni­ger sah es die Not­wen­dig­keit, die Ein­woh­ner­schaft in städ­te­bau­li­che Pro­zesse einzubinden.

Be­tei­li­gung werde vom Be­zirks­amt schlicht nicht gewollt

Die auf­merk­sam ge­wor­de­nen Bürger:innen stell­ten fest, in ganz Ber­lin bil­den sich Mög­lich­kei­ten der Bürger:innenbeteiligung her­aus, nur der Be­zirk Ste­glitz-Zehlen­dorf scheint diese Ent­wick­lun­gen zu ver­schla­fen. We­nige Mo­nate spä­ter sollte sich diese Fest­stel­lung auch in Zah­len ma­te­ria­li­sie­ren: Das hie­sige Be­zirks­amt ver­zich­tete auf in­zwi­schen 500.000 Euro, die der Se­nat seit 2020 mit 250.000 Euro jähr­lich je­dem Be­zirk für den Aus­bau ei­ner Be­tei­li­gungs-In­fra­struk­tur be­reit­stellt, wie etwa be­zirk­li­che An­lauf­stel­len für Bürger:innenbeteiligung. Dem vor­aus­ge­gan­gen wa­ren die zwi­schen 2017 bis 2019 von Bürger:innen, der Ver­wal­tung und der Po­li­tik er­ar­bei­te­ten „Leit­li­nien für Be­tei­li­gung von Bür­ge­rin­nen und Bür­gern an Pro­jek­ten und Pro­zes­sen der räum­li­chen Stadt­ent­wick­lung“. Die Be­zirks­bür­ger­meis­te­rin Cers­tin Rich­ter-Ko­tow­ski (CDU, bis De­zem­ber 2021 im Amt) er­klärte dann im No­vem­ber 2021, „pan­de­mie­be­dingt fan­den keine Bür­ger­be­tei­li­gun­gen in Prä­senz statt … So­mit gab es kei­nen An­lass die Gel­der zu ver­wen­den“. Gel­der, die aber von neun an­de­ren Be­zir­ken ab­ge­ru­fen und sinn­voll ein­ge­setzt wurden!

Anwohner:innen sind die Ex­per­ten im Kiez

Do­rit Grie­ser, Sa­bine Mo­ser und Ste­phan Voß sind die drei Nachbar:innen aus dem Kra­nold­kiez, die es da­bei nicht be­las­sen woll­ten. Im Früh­jahr 2021 rie­fen sie die par­tei­po­li­tisch un­ab­hän­gige Bürger:inneninitiative Lich­ter­felde Ost ins Le­ben, um end­lich auch in Ste­glitz-Zehlen­dorf feste Struk­tu­ren für ver­bind­li­che Bür­ger­be­tei­li­gung zu be­wir­ken. „Wir ha­ben viele Kom­pe­ten­zen, die wir zum Wohl un­se­res Ge­mein­we­sens nut­zen kön­nen“, heißt es in ih­rem Auf­ruf. Die we­sent­li­chen For­de­run­gen der In­itia­tive lauten:

  • Be­tei­li­gung soll im Be­zirk struk­tu­rell ver­an­kert, um­fas­send ge­för­dert und pro­fes­sio­nell um­ge­setzt werden,
  • da­für sol­len die not­wen­di­gen Res­sour­cen zur Ver­fü­gung ge­stellt werden,
  • Ver­wal­tungs­ab­läufe und ‑han­deln im Kon­text von Pla­nung, Ge­stal­tung und Um­set­zung von Be­tei­li­gung sind klar zu regeln,
  • da­für sind Leit­li­nien als ein ge­mein­sa­mes Pro­jekt der Bür­ger­schaft, der Po­li­tik und der Ver­wal­tung im Be­zirk Ste­glitz-Zehlen­dorf zu entwickeln,
  • da­bei sol­len Bür­ge­rin­nen und Bür­ger früh­zei­tig und trans­pa­rent über Vor­ha­ben des Be­zirks in­for­miert werden,
  • Be­tei­li­gungs­pro­zesse sol­len die Be­tei­li­gungs­stu­fen „In­for­ma­tion“, „Mit­wir­kung“, „Mit­ent­schei­dung“ und „Ent­schei­dung“ um­fas­sen, so­weit nicht recht­li­che Be­stim­mun­gen dem ent­ge­gen­ste­hen und
  • es soll eine in je­der Hin­sicht an­ge­mes­sen aus­ge­stat­tete Ko­or­di­nie­rungs­stelle für Bürger:innenbeteiligung in der Ver­wal­tung ge­schaf­fen wer­den, die zu­gleich An­lauf­stelle für Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ist.

Vor­stoß von un­ten: Di­rekte De­mo­kra­tie per Einwohnerantrag

Im Ein­woh­ner­an­trag fan­den Do­rit Grie­ser, Sa­bine Mo­ser und Ste­phan Voß das pro­bate Mit­tel, um die Be­zirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung (BVV) dazu zu brin­gen, sich ih­rer For­de­rung an­zu­neh­men. Ein sol­cher An­trag muss von 1000 wahl­be­rech­tig­ten Einwohner:innen des Be­zir­kes per Un­ter­schrift un­ter­stützt wer­den. Ab April 2021 sam­mel­ten die drei Nachbar:innen nun vor al­lem auf Wo­chen­märk­ten Un­ter­schrif­ten. Sie in­for­mier­ten die Presse und konn­ten zahl­rei­che re­gio­nale Buch­lä­den zur Un­ter­stüt­zung (Aus­lage oder An­nahme von Un­ter­schrif­ten­lis­ten) ge­win­nen, die wäh­rend des Lock­downs im Früh­jahr 2021 ge­öff­net blei­ben durf­ten. Bis zum No­vem­ber konn­ten sie 1623 Un­ter­schrif­ten sam­meln und über­ga­ben am 9. De­zem­ber 2021 dem BVV-Vor­ste­her René Rö­g­ner-Francke (CDU) ih­ren Ein­woh­ner­an­trag „Be­tei­li­gung stärkt die De­mo­kra­tie und för­dert ge­mein­nüt­zi­ges En­ga­ge­ment – auch in Ste­glitz-Zehlen­dorf“. In­zwi­schen hat das Be­zirks­amt der In­itia­tive mit­ge­teilt, dass das not­wen­dige Quo­rum mit ins­ge­samt 1423 gül­ti­gen Stim­men er­reicht ist und der An­trag in der BVV be­han­delt wer­den kann. Die In­itia­to­ren dür­fen ganz si­cher dar­auf set­zen, in der neu ge­wähl­ten Be­zirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung mit der ers­ten grü­nen Bür­ger­meis­te­rin im Be­zirk, auf of­fene Oh­ren und Um­set­zungs­be­reit­schaft zu treffen.

Mitmachen

LANDESNETZERK BÜRGERENGAGEMENT BERLIN – Blog­bei­trag von Sa­bine Walther
zu­letzt über­ar­bei­tet 07.02.2022

Print Friendly, PDF & Email